Das Verwaltungsgericht Darmstadt hat in einem Beschluss entschieden, dass § 59 Abs. 3 Satz 1 des Aufenthaltsgesetzes (AufenthG) als unionsrechtswidrig anzusehen ist, soweit dieser Regelung Artikel 5 Buchstabe a und b der Richtlinie 2008/115/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Dezember 2008 entgegensteht. Nach dieser Richtlinie ist der Mitgliedstaat verpflichtet, vor Erlass einer Abschiebungsandrohung eine umfassende individuelle Beurteilung der familiären Situation des Ausländers vorzunehmen und dabei das Wohl des Kindes und die familiären Bindungen zu berücksichtigen. Der deutsche Gesetzgeber hat diese Vorgabe nicht ausreichend umgesetzt, weshalb § 59 Abs. 3 Satz 1 AufenthG unangewendet bleiben muss.
In dem vorliegenden Fall hatten die Antragsteller einen Antrag auf Verlängerung ihrer Aufenthaltserlaubnis gestellt. Das Gericht entschied jedoch, dass der Antrag unzulässig und damit abzulehnen ist. Die Antragsteller hätten gemäß § 80 Abs. 5 Satz 1 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) nur dann Anspruch auf vorläufigen Rechtsschutz, wenn sie bereits ein vorläufiges Bleibe- oder Aufenthaltsrecht nach § 81 Abs. 3 AufenthG oder eine fiktive Aufenthaltserlaubnis nach § 81 Abs. 4 AufenthG hätten. Da dies nicht der Fall war, konnten sie nur im Rahmen einer einstweiligen Anordnung nach § 123 VwGO vorläufigen Rechtsschutz erhalten.
Die Antragsteller hatten jedoch auch hier keinen Anspruch auf vorläufigen Rechtsschutz. Sie hatten keinen Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 24 AufenthG, da sie keine anspruchsberechtigten Personen nach dem Durchführungsbeschluss (EU) 2022/382 des Rates waren. Dieser Durchführungsbeschluss regelt die Gewährung vorübergehenden Schutzes für Menschen, die vor dem Angriff Russlands auf die Ukraine geflohen sind. Die Antragsteller hatten jedoch nicht glaubhaft gemacht, dass sie zum Stichtag ihres Aufenthalts in der Ukraine am 24.02.2022 tatsächlich in der Ukraine gelebt haben. Daher konnten sie sich auch nicht auf die Ukraine-Aufenthalts-Übergangsverordnung berufen.
Das Gericht stellte zudem fest, dass die Abschiebungsandrohung gegenüber dem Antragsteller zu 1) rechtmäßig war. Gemäß § 59 Abs. 2 AufenthG war der Antragsteller vollziehbar ausreisepflichtig. Es lag auch kein Abschiebungsverbot vor, das der Ausreisepflicht entgegengestanden hätte. Das Gericht wies darauf hin, dass § 59 Abs. 3 Satz 1 AufenthG, der die Abschiebung nicht von Abschiebungsverboten oder Duldungsgründen abhängig macht, allerdings als unionsrechtswidrig anzusehen ist. Nach der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs vom 15.02.2023 ist der Mitgliedstaat verpflichtet, vor Erlass einer Rückkehrentscheidung eine umfassende individuelle Beurteilung der familiären Situation des Ausländers vorzunehmen und dabei das Wohl des Kindes und die familiären Bindungen zu berücksichtigen. In diesem Fall waren jedoch keine schutzwürdigen Belange gegeben, da die Familie in die Türkei, das Herkunftsland des Antragstellers zu 1), zurückkehren konnte.